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Kohlenarbeiterstreik und Aufstand in Moabit 1910

„Es geschah in Berlin …“ Die (jetzt nicht mehr so) neue Krimireihe des Jaron Verlags

Berlinkrimis sind ein weit verbreitetes Genre. Und doch wird mit dieser Krimireihe ein neuer Weg eingeschlagen. Verschiedene Berliner Autoren schreiben weiter an einem historischen Fortsetzungsroman und entwickeln die Figur des Ermittlers Hermann Kappe. Der ist im ersten Buch 22 Jahre alt, neu in Berlin und beobachtet neugierig das Großstadtleben. Die fiktiven Kriminalfälle spielen vor authentischem realem Hintergrund. Die ersten drei Bände sind erschienen. Sie spielen 1910 in Moabit, 1912 im Café des Westens und Hotel Adlon und 1914 in Kreuzberg rund um den Luisenstädtischen Kanal. Die Autoren Horst Bosetzky, Sybil Volks und Jan Eik lasen in der Dorotheenstädtischen Buchhandlung in Moabit vor begeistertem Publikum.

Endlich ein Krimi aus Moabit (es ist natürlich nicht der einzige, so spielt z. B. auch Petra Gabriels „Alemannischer Totentanz“  teilweise in Moabit). Wenn auch das geschilderte Moabit des Jahres 1910 mit Straßenbahnen, Kohlenplätzen und nassen Mietskasernen mit Außenklos der Vergangenheit angehört, die beschriebenen Straßen Wiclef-, Sickingen-, Rostocker Straße, der Kleine Tiergarten sind 100 Jahre später immer noch eine Gegend, in der Armut zu Hause ist. Den historische Hintergrund für den ersten Band der Reihe von dem als Krimiautor besser unter -ky bekannten Schriftsteller Horst Bosetzky „Kappe und die verkohlte Leiche“ liefern die sogenannten Moabiter Unruhen vom September 1910. Was war damals los, als die Barrikaden in der Rostocker Straße brannten, die „Pickelhauben“ mit Säbeln die Arbeiter in die Hauseingänge trieben und Schüsse peitschten?

Die Not der Arbeiterfamilien war groß. Miet-, Fleisch- und Fettpreise stiegen, die Löhne reichten nicht mehr. Nachdem ihre Forderung nach Lohnerhöhung unterstützt durch die Gewerkschaft der Transportarbeiter abgelehnt worden war, traten 141 Kohlenarbeiter der Firma Kupfer & Co aus der Sickingenstraße am frühen Morgen des 19. September 1910 in den Streik. Sie hatten 50 statt 43 Pfennig pro Stunde für die Kohlenträger und 33 statt 30 Mark in der Woche für die Kutscher verlangt. Streikbrecher konnten nur wenige gefunden werden, nach 5 Tagen engagierte Hugo Stinnes, 50 bewaffnete Arbeitswillige aus Hamburg. Die Polizei eskortierte die Kohlewagen durch die Straßen. Arbeiter der naheliegenden Löwe-Werke und der AEG solidarierten sich ebenso wie die Bevölkerung. Aus kleinen Scharmützeln um einzelne Kohlewagen wurden bürgerkriegsähnliche Straßenkämpfe. Zunächst waren nur 100 „Blaue“, wie die Königlich preußischen Schutzleute genannt wurden, im Beusselkiez eingesetzt, die mit Säbelhieben die Menge auseinandertrieben. Nach ein paar Tagen lieferten sich 1000 Polizisten mit der Bevölkerung Straßenschlachten. In der Rostocker Straße gab Polizeipräsident Traugott von Jagow den Schießbefehl. Sämtliche Gaslaternen wurden zertrümmert, Schaufensterscheiben gingen zu Bruch, aus den Fenstern flogen Steine, Blumentöpfe, Flaschen und was sich an Hausrat alles als Wurfgeschoss nutzen ließ auf die Ordnungshüter. Nach offiziellen Angaben wurden 104 Polizisten und 150 „Tumultanten“ verletzt. Zwei starben an den Folgen der Säbelhiebe. Die SPD distanzierte sich wenig überzeugend im Vorwärts am 29. September: Der sogenannte „Janhagel“, der Pöbel der Straße, würde kämpfen, nicht die organisierten Arbeiter.

Der Kampfgeist der Moabiter Arbeiter fand Widerhall in der internationalen Presse, nachdem auch ein amerikanischer und drei englische Journalisten durch Säbelhiebe verletzt worden waren. Das schonungslose Vorgehen der Polizei wurde als Rache für ihre Niederlage bei einer großen Demonstration gegen das preußische Drei-Klassen-Wahlrecht ein halbes Jahr zuvor eingeschätzt, als die Polizei den als Kundgebungsort angekündigten Treptower Park abriegelten, während die eigentliche Demonstration vor dem Reichstag stattfand.

Im Krimi um die verkohlte Leiche des Kohlenarbeiters und Streikbrechers Paul Tilkowski aus der Wiclefstraße werden die Tageszeitungen gelesen. Die ermittelnden Beamten geraten mitten in die Tumulte und Kappe wird mit einem Blumentopf außer Gefecht gesetzt. Das Berlin am Anfang des 20. Jahrhunderts wird lebendig durch die Schilderung vieler Straßenszenen, durch überzeugende Charaktere und nicht zuletzt durch den humorvollen Berliner Jargon.

Ebenso historisch belegt doch in ganz anderen Milieus spielen die beiden nächsten Bände der Reihe. Bei Sybil Volks geht es um die Berliner Boheme, Heiratsschwindler und Hochstapler. Der Täter ist besessen ein berühmter Dramatiker zu werden und stegert sich immer mehr in seinen Größenwahn. Ein wichtiger Zeuge geht mit der Titanic unter. Im dritten Band von Jan Eick ist die Tote ein schwangeres Mädchen, Tochter einer Waschfrau aus der Adalbertstraße, ihre Brüder Kleinganoven. Im heißen Sommer 1914 stinkt es aus dem Luisenstädtischen Kanal und der 1. Weltkrieg wirft seine Schatten voraus.

erwähnte Bücher:
Horst Bosetzky, Kappe und die verkohlte Leiche
Sybil Volks, Café Größenwahn. Kappes zweiter Fall
Jan Eik, Der Ehrenmord. Kappes dritter Fall
Alle Bände und die weiteren: Jaron Verlags GmbH Berlin, 2007, je 7,95 Euro, in Moabit zu erhalten in der Dorotheenstädtischen Buchhandlung und in der Buchkantine.

zuerst erschienen in „stadt.plan.moabit“, Nr. 51, Juli 2007
Bild: Die Unruhen in Berlin-Moabit, 1910. aus: London Illustrated News, 8. Oktober 1910, S. 551.

Eine weitere Quelle zum Kohlenarbeiterstreik 1910 aus einer 1961 erschienenen Broschüre der SED-Tiergarten: Das war Moabit findet sich hier. Auch die Bolle-Jungen streikten im Jahr 1910. Aro hat alle Texte dokumentiert.
Auch das Deutsche Historische Museum hat in der Ausstellung „Streik. Realität und Mythos“ auf den Moabiter Aufstand Bezug genommen, Autor dieses Beitrags ist der Historiker Thomas Lindenberger, der in seiner Studie „Straßenpolitik. Zur Sozialgeschichte der öffentlichen Ordnung in Berlin 1900 bis 1914″ ein äußerst detailreiches, wenn auch schwer zu lesendes Werk vorgelegt hat.

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