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Leben und Spielen in Moabit vor 60 Jahren

Unsere Eltern zogen mit uns 1946 in die Stephanstraße 57 ins 1. Quergebäude 1. Treppe. Es gab ein Vorderhaus, zwei rechte Seitenflügel und dazwischen das Quergebäude. Das Haus Nr. 58 lag als ein Spiegelbild daneben, so dass wir Kinder zwei große Höfe zum Spielen hatten. Sie waren mit Durchfahrten miteinander verbunden. Bei schlechtem Wetter konnten wir darin spielen.

Verstecken, Himmel und Hölle, Einkriege, Ziehet durch, durch die goldene Brücke, Eene meene Muh und raus bist du. Wir beneideten immer die Kinder, die in der 4. Etage wohnten, denn sie konnten immer rufen: “Mama, schmeiß mir mal eine Stulle runter!“

Wir waren ungefähr 36 Kinder in den acht Aufgängen. Im Sommer fanden Kinderfeste statt mit Onkel Pelle und Musik. Abends tanzten die Erwachsenen nach der Musik. Im Haus Nr. 57 gab es drei Läden: das Kohlengeschäft, einen kleinen Tabakladen und ein Seifengeschäft. Im Nebenhaus Nr. 58 gab es die Bäckerei Pfennig, die bei den Kinderfesten den Blechkuchen spendierte.

Auf der Bordsteinkante konnte man mit den kleinen Autos Rennen fahren. Wenn man Pech hatte, verschwand das Auto im Gully. Die Straßen waren noch autofrei und wir konnten Treibeball die Straße rauf und runter spielen.

Auf dem Gelände in der Quitzowstraße 35, wo sich jetzt die Tankstelle Westfehling befindet, kampierte ab und zu ein kleiner Rummel mit Karussel und Luftschaukel. Um das Fahrgeld zu sparen gab es die Möglichkeit auf eine obere Plattform zu klettern und das Karrussel mehrere Runden zu drehen. Dann konnte man einmal gratis mitfahren. Auch in den Ruinen wurde gespielt, zum Beispiel auf dem Kasernengelände in der Kruppstraße. Selbst die Rohbauten luden zum Spielen und Verstecken ein. In der Stephanstraße 54 war ein Spielzeugladen – Mutter Schulz hieß er bei uns -, wo wir für die Älteren die Schmöker gekauft haben, aber selbst erst mal lesen durften.

Stephanstraße 3 war eine Turnhalle zum Stephankino umgebaut worden. Sonntags gab es immer eine Kindervorstellung, die meist ausverkauft war, so dass noch Stühle neben die Sitzreihen gestellt wurden.

Während der Blockade, als es weder Strom noch elektrisches Licht gab, saßen wir bei Kerzenschein und Mutter erzählte uns Kindern Märchen oder wir sangen Lieder. Am anderen Tag sagten uns unsere Nachbarn, dass sie uns Singen gehört hatten.

Beim Bäcker gab es nachmittags Schlagschaum, man musste aber eine Schüssel mitbringen.

Kohlenklauen war eine Notwendigkeit, die Kohlenzüge, die Richtung Wedding fuhren, wurden noch von Dampflokomotiven gezogen, die mühsam die Steigung empor keuchten. Die Mutigen kletterten auf die Waggons und warfen die Kohlen runter und mussten aber, bevor der Zug schneller wurde, den Zug wieder verlassen. Die Kohlen wurden ausgeteilt. Die andere Möglichkeit war in der Heidestraße durch die Ruinen zum Kohlenlager zu gelangen, um die Kohlen zu klauen, denn es war manche Nacht sehr kalt.

1949 zogen wir zur Lehrter Straße 39 (Bild links), wo wir auch dieselben Spiele wie Treibeball auf der Lehrter Straße, Verstecken und andere Sachen spielten. Der Kontakt zur Stephanstraße hielt bis 1960.

Text: Heinz Borzechowski, Heinz Borzechowski ist Jahrgang 1934. Er wohnt seit 1946 in Moabit, seit 49 Jahren in der Quitzowstraße.

Zuerst erschienen in LiesSte, Zeitung für den Stephankiez Nr. 16, Juli 2010

6 Kommentare auf "Leben und Spielen in Moabit vor 60 Jahren"

  1. 1
    gilbert says:

    wunderbarer Artikel.. mehr davon…

  2. 2
    Lieslelotte Kuhn says:

    Ein sehr schoener Artikel, der viele Erinnerungen an meine alte Heimat Moabit erweckt, da ich schon seit 1955 in Australien lebe.

  3. 3
    doa21 says:

    das waren noch Zeiten, danke für diesen Einblick!

  4. 4
    Werner Sommer says:

    Hallo! Ich bin Jahrgang ’59 und habe bis 1984 in der Stephanstr. 15 bei meinen Eltern gewohnt, also schräg rüber von Nr. 57. Der Artikel ist super und weckt in mir Kindheitserinnerungen, da ich mich noch dunkel an den Kohlenladen, aber sicher an den Seifenladen und den Tabakladen erinnern kann. Mein Uropa kaufte dort seine Zigarren und Pfeiffentabak. Im Seifenladen gab es auch eine grosse Wäschemangel und einen Bügelautomaten, wo meine Mutter die Bettwäsche „bearbeitete“.
    Ich bin schon ewig auf der Suche nach Bildern von der Stephanstr. aus den 60er und siebziger Jahren, denn da tobte noch das Leben in der Strasse, denn ein Tante-Emma-Laden nach dem anderen gab es dort, jedoch konnte ich noch keine Bilder von damals auftreiben!

  5. 5
    Radlinski, Rosemarie says:

    Hallo, der Artikel ist wunderbar, ich bin 1940 geboren, Aufgewachsen in der Stromstr. 21, in der Stephanstr. zur Schule gegangen. Es stimmt wir haben die ganze Stromstr. in beschlag genommen, wenn mal ein Auto kam haben wir platz gemacht, in den Trümmern sind wir im Winter gerodelt, oder so, rumgetopt Gott sei Dank nichts passiert. Die Hoffeiern in der Umgebung waren doch so schön!

  6. 6
    Detlef Sabelus says:

    Ich bin 1947 in der Stephanstr. 12 geboren und lebte dort bis August 1961. All das kann ich bestätigen, das Spiel mit den Bordsteinrennern war eines der liebsten für mich. Bei Mutter Schulze konnte man Zündplätzchen für die Cowboypistolen stückweise kaufen, ein Hit. Mit dem Sohn von Bäcker Riedel war ich befreundet, ebenfalls mit Harald Reichelt von der Leihbücherei im Nachbarhaus.

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