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Skulpturen in der Zillesiedlung

1982 wurden gleichzeitig mit dem Bau der Heinrich-Zille-Siedlung als Sozialer Wohnungsbau  sechs Bronze-Skulpturen des Bildhauers Michael Schoenholtz errichtet. Schoenholtz war von 1971 bis 2005 Professor an der Hochschule der Künste (seit 2001 UDK) in Berlin. Eine Ausstellung anläßlich der Herausgabe seines zweibändigen Werkverzeichnisses ist noch bis zum 13. Juni 2010 im Georg-Kolbe-Museum zu sehen.

Angeregt durch die Anfrage einer Leserin von MoabitOnline habe ich Michael Schoenholtz vor kurzem in seinem Atelier in Friedenau besucht und mit ihm über die mehr als 25 Jahre alten Skulpturen gesprochen.

Die Skulpturen orientieren sich in ihrer Grundidee am „Ulanenstein“ (1922/23) von Josef Limburg (1874-1955), Claire-Waldoff-Promen­ade (Bild 1 der Bilder­galerie). Dieses Denkmal war nach dem 1. Weltkrieg vor der Ulanenkaserne aufge­stellt worden, die mit ihren Pferdeställen für fast 700 Pferde und weiteren Nebengebäuden fast den ganzen Block an der Invalidenstraße bis zur Seydlitzstraße einnahm. Hier eine Karte von 1893. Das 2. Garde-Ulanen-Regiment war 1918 aufgelöst worden.

Den ausgeschriebenen Wettbewerb hatte Schoenholtz mit seinen Entwürfen gewonnen. Seine Herangehensweise erklärt er so: Die sechs Skulpturen stehen genau wie der Ulanenstein auf einem zweistufigen Sockel. Das ist heute nicht bei allen zu sehen, weil sie teilweise in den Grünflächen zugewachsen stehen. Auch die Farbe der Betonsockel ist der des Ulanensteins nachempfunden. Die Bronzefiguren greifen verschiedene Elemente dieses Denkmals auf wie Sonne, Waffen, usw. Die Darstellungen beziehen sich entweder symbolisch oder inhaltlich auf das alte Denkmal. Außerdem sind ihre Standorte so angelegt, dass man vom Ulanen-Denkmal ausgehend immer eine oder auch zwei Skulpturen sehen kann. Wer seiner Neugier folgt, wird mit Sichtbeziehung zu allen sechs Skulpturen geführt.

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(Update: da hier die Fotogalerie nicht mehr funktioniert, bei Vilmoskörte gibt es schöne Fotos)

Auf Wunsch des leitenden Architekten der Siedlung, Volker Theißen, wurden Texte verschiedener Schriftsteller und Philosophen an den Sockeln angebracht. Sie waren von Schoenholtz ursprünglich nicht geplant. Auch benennt der Bildhauer seine Skulpturen anders, als auf der Anzeigetafel (Bild 2) an der Otto-Dix-Straße, die die Standorte und das alte Straßenraster zeigt. Die Bildunterschriften der Bildergalerie stimmen mit der Anzeigetafel und der Benennung auf der Webseite „Bildhauerei in Berlin“ überein. Die Original-Namen des Bildhauers habe ich unten in Klammern hinzugefügt.

Die Inschriften sind hier im Einzelnen dokumentiert, da sie teilweise nur noch schwer zu lesen sind (in der Reihenfolge der Bildergalerie):

„Alle Wasser laufen ins Meer
doch wird das Meer nicht
voller. An den Ort von dem
sie herfließen, fließen sie
wieder hin.“
SALOMO an der Skulptur Harmonie (Schoenholtz: Zerstörte Form)

„Das Elend hinderte mich zu glauben,
dass alles unter der Sonne gut sei. Die
Sonne lehrte mich, dass die Geschichte
nicht alles ist.“
CAMUS an der Skulptur Sonne

„Gut wenn das Falsche fällt,
kann das Echte leben. und
nicht vielen ist bewusst, was
uns allen noch an Zwang zu
verlernen bleibt.“
BLOCH an der Skulptur Leben (Schoenholtz: Traube – die Inschrifttafel fehlt derzeit)

„Empfinde hier
wie mit allmächtgem Triebe
ein Herz das andere zieht
und dass vergebens Liebe vor Liebe flieht“
GOETHE an der Skulptur Liebe (Schoenholtz: Gewächs)

„An allen Körpern nackt wie Bohnen
in der Einkaufstasche wird ein Keim
in  die Höhe schießen die Freiheit
grün und gespalten“
PONGE an der Skulptur Träume (Schoenholtz: Bewohnbar)

„Die eherne Notwendigkeit ist ein
Ding, von dem die Menschen im
Verlauf der Geschichte einsehen, dass
es weder ehern noch notwendig ist.“
NIETZSCHE an der Skulptur Waffen (Schoenholtz: Gegen den Krieg)

Alles Texte, über die man gut nachdenken kann und die sich ebenso wie die Skulpturen nicht unbedingt sofort erklären. Welche Namen zu den Skulpturen besser passen, die des Architekten oder die des Bildhauers, kann jeder selbst für sich entscheiden.

Michael Schoenholtz erzählte mir, dass er damals von der Anlage der Wohnsiedlung – eingebettet in Grün mit Mietergärten und vielen Spielplätzen – sehr begeistert war: „Die Architekten haben Häuser mit menschlichem Maßstab gebaut und wollten damit ihre Fehler beim Bau des Märkischen Viertels wieder gut machen.“  Auch die alten noch erhaltenen Straßenbäume haben ihn sehr beeindruckt. Leider ist eine sehr alte Eiche an der Claire-Waldoff-Promenade vor einigen Jahren gefällt worden.

Das Atelierhaus in Friedenau, in dem Schoenholtz arbeitet, wurde 1896 unter Wilhelm II. als Bildhaueratelier errichtet. Mehrere Skulpturen der Siegesallee sind hier entstanden.  Ringsherum war damals noch Bauernland, aber schnell entstanden Mietshäuser. In allen Häusern der Görresstraße wurden oben unterm Dach Ateliers integriert, so wie Künstler sie für ihre Arbeit brauchten – mit Nordlicht. Wir kommen auf die gesellschaftliche Stellung von Künstlern damals im Vergleich zu heute zu sprechen. Viele Bürger ließen sich portraitieren, so hatten Maler ihr regelmäßiges Auskommen. Heute sind nur wenige Künstler in der Lage sich ein Atelier mit idealen Lichtverhältnissen zu bauen, wie etwa Katharina Grosse in der Lehrter Straße. Schließlich erzählt er noch folgende Anekdote:  einer seiner Vorgänger beschwerte sich über die zu starke Lichtreflexion der Brandwand des übernächsten Hauses. So musste auf persönliche Order Wilhelms II. die Brandwand geschwärzt werden.

Wer Informationen über Denkmale und Skulpturen in Berlin sucht ist auf der Webseite „Bildhauerei in Berlin“ gut beraten. Bei Eingabe von „Schoenholtz“ und „1982“ findet man Fotos der Skulpturen, als der Zahn der Zeit noch nicht an ihnen genagt hatte (Update: die Webseite zur Bildhauerei ist geändert). Und einen Schneespaziergang mit wunderbaren Fotos der Skulpturen und der Umgebung im Ausbilderblog.

Zum Schluss noch der Hinweis auf drei Veranstaltungen im Kolbe-Museum:
30. Mai 2010, 11.30 Uhr, Vortrag Prof. Dr. Hans Dickel, „Kunst im Berliner Stadtraum vor und nach 1989“ (Kosten: Museumseintritt 5 Euro /erm. 3 Euro)

5. Juni 2010, 14.30 – 17 Uhr, Skulptur-Workshop mit Michael Schoenholtz für Kinder und Jugendliche 11-15 Jahren, (Kosten: 18,- Euro, inklusive Material), Anmeldung und weitere Informationen: kunstvermittlung@georg-kolbe-museum.de

5. Juni 2010, 16 Uhr, Kuratorenführung mit Dr. Marc Wellmann. (Kosten: Museumseintritt zzgl. 2,- Euro)

Fotogalerie: Jürgen Schwenzel

2 Kommentare auf "Skulpturen in der Zillesiedlung"

  1. 1
    R@lf says:

    Vielen Dank für diesen aufschlußreichen Artikel – jetzt kann ich mal die mir unbekannten Skulpturen suchen und sichten. Der fehlende Spruch sollte wieder angebracht werden. Gut, daß sich die Skulpturen auch über ein Stückchen sinnende Literatur dem betrachtenden Menschen erschließen.
    Hoffentlich kommt nicht eines allzu unfernen Tages die ganze Zillesiedlung samt Skulpturen unter den Senats-Verkaufshammer… ! Sie ist wirklich ein erträgliches Stück Architektur aus einer unerträglichen Zeit.

    A propos Skulptur: wo ist eigentlich die eingelagerte Plastik aus dem Lehrter Zellengefängnisgelände (jetzt Park) geblieben? Für den Kiez verloren?

  2. 2
    WgM says:

    Jetzt mal was ganz anderes zur Zillesiedlung. Die Zillesiedlung gehört zu den Sozialbausiedlungen für die das Mietenkonzept 2014-2017 gilt. Trotzdem haben Mieter Mieterhöhungen über 5,50 Euro bekommen, was eigentlich nicht sein kann.
    Deshalb lasst Eure Mieterhöhungen bei der IBB überprüfen!
    http://wem-gehoert-moabit.de/2014/03-mieterhoehungen-in-der-zillesiedlung-ueberpruefen-lassen/
    http://www.stadtentwicklung.berlin.de/aktuell/pressebox/archiv_volltext.shtml?arch_1402/nachricht5174.html

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