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Kunst in der Remise

Die 68­jährige Astrid Jacobs nutzt ihren Ruhestand, um sich endlich dem zu widmen, was in ihrem Leben bisher zu kurz kam: der Kunst. Im Hinterhof ihres Wohnhauses in der Beusselstraße 2 hat sie eine Remise angemietet, die sie selber als Werkstatt nutzt und anderen Künstlern umsonst als Galeriefläche zur Verfügung stellt, um ihnen ein Forum zu bieten.

astrid-jacobs_CE-250Astrid Jacobs reicht mit entschuldigendem Lächeln ihren rechten Ellenbogen zur Begrüßung. Beide Hände stecken noch in dünnen blauen Plastik­hand­schuhen, die sie zum Spachteln angezogen hat: Die Künstlerin sitzt gerade an einem Beitrag zum diesjährigen Thema »Flucht und Identität« des vom Kunstverein Tiergarten organisierten Kunst­festi­vals »Ortstermin«.

Im Jahr 2011 hat die verrentete Augenoptikerin, Erzieherin und Heilpädagogin Astrid Jacobs die Remise im Hinterhof als Werkstatt und Galerie gemietet. Um zu zeigen, was sie seit der Eröffnung 2012 bereits an Ausstellungen gezeigt hat, reicht die Galeristin ihr Gästebuch rüber. Auf den Seiten des großen Buches, das die kunstvoll gestalteten Ankündigungskarten aller Ausstellungen in der Remise enthält, findet sich neben Glückwünschen von Freunden und der Lobeshymne eines Kindes auch vielfacher Dank von Künstlern, die hier ausstellen konnten, und fundierte Kunstkritik. Der Tenor ist immer der gleiche: Begeisterung.

Das Anmieten der Remise für ihre ganz eigenen Atelier- und Werkräume war für die ursprünglich aus Flensburg stammende Künstlerin die Erfüllung eines lange gehegten Traumes. Viele Jahre hat Jacobs von ihrem Fenster mit Blick auf den Hof und die zuletzt als Abstellraum genutzte Remise im Wohnzimmer gemalt und sich bei jedem Farbklecks auf ihren guten gelben Teppich gedacht: Da unten arbeiten, das wär’s!

Gezeichnet hat die 68-Jährige bereits mit 14 gerne. Doch erst nach dem Ende ihrer Berufstätigkeit ging sie wirklich ihrer Affinität für Malerei und Bildhauerei nach. Nach Kursen an der privaten Kunstakademie für Malerei in der Hardenbergstraße arbeitet die Autodidaktin nun hauptsächlich abstrakt mit Acryl, meißelt aber auch Skulpturen aus Speck- und Sandstein oder lässt sich von Materialien im Alltag inspirieren.

»Das ist das Gute an einem Arbeitsort im eigenen Hof«, sagt sie. »Wenn mir beim Fernsehen ein Einfall kommt oder ich plötzlich in der Küche etwas in der Hand halte und merke, das ist ein spannendes Material, dann muss ich nur schnell die Schuhe anziehen und zack, kann ich loslegen.« Den Traum vom eigenen Atelier hat sich die Künstlerin vor fünf Jahren nach dem Tod ihrer Mutter erfüllt. Die Miete zahlt sie von ihrer Rente.

»Jetzt habe ich nichts mehr für Reisen übrig, aber ich sage mir immer: »Andere fahren in den Urlaub, ich geh’ in die Remise. Hier kann ich malen, mit Farbe schmeißen, tanzen und machen, was ich will.« Den Luxus ihres ganz eigenen Raumes will die Künstlerin mit anderen Kunstschaffenden teilen. Seit ihrer ersten Ausstellung im Mai 2012 stellt sie die Remise daher sechsmal im Jahr anderen Künstlern für Ausstellungen zur Verfügung: umsonst.

»Dafür Geld zu nehmen, könnte ich nicht mit mir vereinbaren«, sagt Jacobs, die in den 80ern gemeinsam mit ihrem Ehemann, einem Augenoptiker, in der Berliner Hausbesetzerszene aktiv war. »Das würde genau die Künstler abschrecken, die ich mit dem Angebot ansprechen möchte: die noch unbekannten, mittellosen.«

Mittlerweile betätigt sich die Künstlerin hauptsächlich als Galeristin. Beim Betrachten ihrer eigenen Bilder sagt sie nachdenklich: »Die könnte ich ausstellen, oder? Wenn ich nur wüsste, wie? Ich habe weder die Zeit noch den Raum dafür.« Nur ein von ihr gemeißelter Sandstein ist fester Bestandteil aller Ausstellungen: »Der ist so schwer, dass man zwei Mann bräuchte, ihn zu verrücken.«

Nach einer erfolgreichen Erstausstellung der Werke der mit ihr befreundeten Künstler Brigitte Armgardt, Winfried Manthey, Melanie Groll und Marianne Schmidt im Mai 2012 ist aus Jacobs kleinen Atelier im Hinterhof längst eine gefragte Galerie geworden. Die Ausstellungen sind zum Selbstläufer geworden: Die Künstler bewerben sich bei ihr oder werden von Freunden vermittelt.

Auf zwei ihrer kommenden Ausstellungen im diesem Jahr freut sich Jacobs besonders, einfach durch die Art und Weise, wie sie zustande gekommen sind: Ein Künstler war Kellner in einem Café, in dem sie sich nach einer Ausstellung über Kunst unterhielt. Eine japanische Künstlerin aus Frankfurt am Main wurde ihr von einem bekannten ecuadorianischen Künstler vorgestellt, der im Netz auf ihre Galerie aufmerksam geworden war.

Astrid Jacobs genießt den Austausch mit anderen Künstlern und hofft, die Remise noch eine ganze Weile halten zu können. Irgendwann aber, befürchtet sie, werde es schwierig, allein mit ihrer Rente für die laufenden Kosten aufzukommen. Ihr Versuch, öffentliche Gelder beim Quartiersmanagement zu beantragen, ist fehlgeschlagen.

»Die meinten, ich sei kapitalistisch, keine Non-Profit-Organisation. ›Sie sind ja schön blöd‹, hat der eine gesagt, ›nehmen Sie doch einfach Geld wie jede andere Galerie‹«, ärgert sie sich. »Die haben nicht verstanden, worum es hier geht: um einen Raum für alle Kunstschaffenden im Bezirk. Eher würde ich schließen, als Geld von anderen Künstlern zu nehmen.«

Text: Eva­-Lena Lörzer, Bild: Christoph Eckelt, bildmitte

Zuerst erschienen in der »ecke turmstraße«, nr. 3, mai 2016

Galerie Remise, Beusselstraße 2, 10553 Berlin-­Moabit, Telefon 0151­ 56613273, www.jacobs­-kunst.de

Aktuelle Veranstaltungshinweise in der Galerie Remise:
08. Mai 2016, 18 Uhr, Finissage Roswitha Schaab, Skulptur und Zeichnung
12. Mai 2016, 18 Uhr, Vernissage Ellipse – A two-site international exhibition curated by Alex Dewart and Danny Rolph
13. Mai 2016, 11 – 17 Uhr, Ausstellung Ellipse

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