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»Betreutes Trinken«

Beim Weinmichel in der Wiclefstraße

weinmichel_CEIm Wein- und Spirituosengeschäft Weinmichel in der Wiclefstraße 20 wird Neukunden das Wesen des Weines erklärt. Abends kommen Stammkunden am Tisch zusammen, um über Wein und die Welt zu reden.

Im Vorbeigehen könnte man den »Weinmichel« mit einer Galerie verwechseln: Das Schaufenster des Wein- und Spirituosengeschäftes ist kunstvoll dekoriert, der Laden in einer Mischung aus Antikem und Design gehalten. Die hintere Wand ist in edlem Bordeaux gestrichen, an der rechten hängt moderne Kunst. Nur die Regalwand auf der linken Ladenseite verrät, um was es hier eigentlich geht: Wein. Von Flaschen etablierter Marken bis hin zu ausgefallenen Neuentdeckungen der Winzerszene führt der »Weinmichel« alles, was deutsche Weinberge zu bieten haben.

Ursprünglich war der vordere Ladenbereich als reine Ausstellungsfläche gedacht. Der gelernte Buchhändler und Restaurator Martin Michel wollte nach ein paar Jahren im Wein-Großhandel mit dem »Weinmichel« eine eigene Großhandlung aufmachen. Auf der Suche nach geeigneten Büro- und Lagerräumen kam er dabei 2010 in den Turmstraßen-Kiez. Die Miete war günstig, der Standort zentral.

2011 lernte Martin Michel dann Alexander Laurisch kennen. Der ehemalige Journalist und Event-Manager teilte nicht nur Michels Begeisterung für Wein, sondern auch seine Visionen. Gemeinsam mit Michels Sohn Anton machten die beiden Männer aus dem »Großhandel Weinmichel« im Laufe der Zeit ein Weinfachgeschäft mit Eventkultur. Martin Michel kümmert sich mittlerweile nur noch um den Großhandel, Alexander Laurisch um den Einzelhandel und die Kundenbindung im Kiez. Der in Sterne-Restaurants ausgebildete Koch Anton ist quasi der »Junge für alles«. Sein Zuständigkeitsbereich reicht von der Betreuung der FacebookSeite bis hin zu den regelmäßig stattfindenden öffentlichen Weinproben: Für 25 Euro werden an einem Abend acht Weine »verköstigt«. Laien lernen bei dem »betreuten Trinken«, wie Laurisch die Verkostungen nennt, unter anderem, dass Geschmack nichts mit dem Preis zu tun hat. Doch auch Kenner können noch Neues erfahren. Zum Beispiel, wie groß der Einfluss des Winzers auf den Wein ist: »Zwei Winzer, zwei Rieslinge, gleiches Feld, gleiches Jahr, ganz unterschiedliche Geschmäcker: Einer schmeckt nach Sommer im Glas, ein anderer, als würdest du eine Schieferplatte ablecken«, beschreibt Laurisch.

Seit 2011, als der Weinmichel eröffnete, hat sich viel verändert im Kiez. »Immer, wenn eine sozial schwächere Familie auszieht, zieht ein junges Akademiker-Paar mit Kind ein«, beobachtet Anton Michel und erzählt: »Neulich, beim Turmstraßenfest, kam eine Kundin, selber junge Mutter, auf uns zu und meinte: ›Ihr seid zuständig für die Gentrifizierung.‹« Alexander Laurisch zuckt mit den Achseln. Beide Männer sehen die Veränderungen im Kiez eher postitiv. Klar sei es schlimm, wenn Leute verdrängt würden. Aber die neuen Läden seien spitze, allen voran der Eisladen namens »Einer dieser Tage«.

Mit den Neuzugezogenen und Neueröffnungen hat der Weinmichel auch neue Laufkundschaft gewonnen. 90 Prozent der Einnahmen stammen zwar nach wie vor aus dem Großhandel, doch der Kiez spielt eine immer größere Rolle: Aus dem Weinmichel ist längst ein belebter Laden geworden. Auch an diesem Montagabend kommt eine Kundin nach Ladenschluss und bittet um eine Flasche des üblichen für ihre Mutter. »Unsere Stammkunden kommen häufiger abends auch einfach mal so und setzen sich auf ein Gläschen zu uns«, sagt Alexander Laurisch.

Auch wenn sie die Gentrifizierung um den Laden herum nicht negativ sehen: Egal ist den Weinmichel-Männern nicht, was im Kiez vor sich geht. Im Sommer haben sie sich daher einen Kicker gemietet und zu ein paar Gläsern und etwas Kickern geladen. Die Einnahmen des Abends – immerhin ein dreistelliger Betrag – wurden von ihnen an »Moabit hilft!« gespendet. Obwohl alle drei in anderen Bezirken wohnen, ist Moabit durch den Laden irgendwie auch ihr Bezirk geworden. Anton Michel kann sich gut vorstellen, langfristig hier in den Kiez zu ziehen: »Hier ist es im Vergleich doch noch sehr entspannt und durchmischt.«

Text: Eva-Lena Lörze, Foto: Christoph Eckelt, bildmitte

Weinmichel, Wiclefstraße 20, Mi–Fr 15–20 Uhr, Sa 10–15 Uhr und nach Vereinbarung, Telefon (030) 40048797, www.weinmichel.net

Zuerst erschienen in der »ecke turmstraße« , Nr. 8 – 2015, dez. 2015 / jan. 2016

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