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Moabiter Motetten

Eine Notiz im Gemeindeblatt Moabit West Dezember 2011 ließ mich aufmerken – da wurden noch Sängerinnen für das kommende Chorprojekt gesucht. Im Anschluss an den Auftritt des Chores beim beliebten Adventsbasar in der Heilandskirche forschte ich nach, ob diese Anzeige ernst gemeint sei. In der Tat, der Kantor ermunterte mich, zu kommen. Es galt nichts Geringeres, als ein Stück von Johann Sebastian Bach einzustudieren.

Blond und blauäugig, was ich sonst eigentlich nicht bin, fand ich mich besagte Stunde im Gemeindesaal Ottostraße zur ersten Probe ein. Oh, oh, auf was hatte ich mich da eingelassen! Nicht nur, dass Bachsche Musik höchst anspruchsvoll ist – diese zu singen eine wirkliche Herausforderung. Schon bald wurde klar mir klar – dieser Motettenchor war nicht irgendein Chor. Mitnichten, kamen doch manche Sänger extra aus anderen Bezirken angereist, um in Moabit dabei zu sein.

Nun saß ich hier: vor Noten, die mich schwindlig werden ließen, unter wildfremden Menschen und von niemandem beachtet – warum auch. Dummerweise hatte ich mich als Gast aus der Spandauer Vorstadt vorgestellt, so dass das Gros des Chores dachte, ich wäre am Rande der Stadt im fernen Spandau zu Hause. Nun ja, diese und die nächsten Proben über schwitzte ich Blut und Wasser, die einzelnen Passagen vernünftig mitzuträllern. Auch eine einfache Probe ist ein Ort, an dem man sich beweisen muss! In den Pausen fühlte ich mich erst recht deplatziert, hatten sich doch alle untereinander viel zu erzählen. Natürlich, wie auch sonst?

Bald war zu merken, dass es sich bei den Moabitern, eingefleischten Westberlinern, um ein in gewisser Weise besonders Völkchen handelte: nicht ohne Stolz, autonom, auf sich konzentriert, fast etwas schroff. So jedenfalls fühlte sich das an, wenn man nicht dazugehörte. Alles zusammen genommen war ich unglücklich und nahe daran, aufzugeben. Während eines abendlichen Umtrunks beim Griechen in der Jagowstraße wurde lange gefachsimpelt, bei welchen Stücken – die nicht schwer genug sein konnten – man wo mitgewirkt hatte. Das kannte ich ja nun gar nicht und ließ meine Achtung vor dem musikalischen Können der Motettensänger nur noch steigen.

Rettung kam aus den eigenen Reihen der Sophien-Kantorei. Zwei Bassisten boten sich an, mich zu den Proben der Markuspassion zu begleiten. Gute Männerstimmen sind ja immer gefragt. Von da an ging`s bergauf. Frischen Mutes, mit Rückenstärkung sozusagen, hörte ich noch aufmerksamer auf das, was Gundula neben mir sang. Gundula – ein Ausnahme-Talent, Lehrerin für Geige in der Moabiter Musikschule Melanchthonstraße. In den Pausen schwatzte ich mit den Bassisten, die sich, musikalisch versiert wie sie sind, hier gleich am richtigen Platz wähnten. Die Aufführung der Markus-Passion am 26. März 2011 samt Solisten und dem Concerto Grosso – Ensemble mit historischen Instrumenten – wurde zu einem nachhaltigen Erlebnis. Kantor Reinhard Eggers hatte uns – auch während der intensiven Proben am Wochenende in Woltersdorf – gelehrt, die Klippen zu nehmen.

Am Ende waren wir zutiefst dankbar, diese Bachsche Musik im wahrsten Sinne des Wortes durchlebt zu haben. Und die Frage einer Chorkollegin, ob ich nicht bleiben wolle, versöhnte mich vollends. Ich dankte herzlich und lud alle ein, uns doch einmal beim beschwingten Chortag im Juni in der Großen Hamburger Straße zu besuchen, unweit des pulsierenden Herzen Berlins. Als kleine Anerkennung machte ich Kantor Eggers mittels Spende zum Paten über die Orgelpfeife „e“ unserer barocken Orgel in Sophien – mit Zertifikat, versteht sich.

Übrigens wurde die Sophien-Kirche von der ARD für wert befunden, den Karfreitag-Gottesdienst am 9.4.2012 deutschlandweit zu übertragen. Die Sophien-Gemeinde feiert nächstes Jahr ihr 300-jähriges Bestehen – vielleicht lockt das ja dann auch die Moabiter von der Insel aufs Festland.

Autorin: Gudrun Radev

2 Kommentare auf "Moabiter Motetten"

  1. 1
    Susanne says:

    Das hast Du wirklich sehr schön beschrieben – ja so funktionieren In-groups – wahrscheinlich nicht nur in Moabit. Oder geht es hier wirklich rauher zu?

  2. 2
    prolet says:

    Die Moabiter haben angesichts des Jubiläums eigentlich wirklich Gründe genug, nach Sophien zu gehen, denn das mußten sie früher ja auch tun, bevor das Invalidenhaus sie seelsorgerisch betreute. Über den Weg von Moabit nach Berlin schreibt Oehlert, daß „diese Wanderung nie anders als in Stulpstiefeln vorgenommen werde, weil anders nicht durchzukommen sei“. St. Johannis wurde 1835 geweiht, Heiland, Heiliggeist und Reformation kamen erst im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts hinzu.

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